©Bernd Mosel           Die Astronomische Uhr im St.-Paulus-Dom in Münster        1/13, 9/14

 

Die Uhr zeigte von Anfang an den täglichen Umlauf des Sternenhimmels und den mittleren Umlauf aller damals bekannten Planeten, wodurch sie zu den führenden astronomischen Uhren der Kirchen und Rathäuser gehörte. (Es gab aber bereits wissenschaftlich und technisch fortgeschrittenere Uhren, z.B. die  von Giovanni Dondi 1364 in Padua aufgestellte Uhr, die den tatsächlichen Umlauf der Planeten anzeigte. Die Uhr existiert nicht mehr aber eine vollständige Beschreibung, in der Dondi jedes Einzelteil zeichnerisch festgehalten hat.)

 

Außerhalb des Doms wurde die Domuhr von Anfang als öffentliche Uhr d.h. als Gebrauchsuhr wahrgenommen. Sie verkündete für die Domfreiheit die Stunde mit einer Glocke. In diesem Punkte hatte sie die etwas ältere Glocke der Stadtuhr im Lambertiturm als Konkurrenz.

 

Einige wichtige Jahresdaten.

Der informierte Leser wird weitgehende Abweichungen zu jenen Ansichten bemerken, die sich in der Öffentlichkeit durchgesetzt haben und zu korrigieren sind. Die Grundlagen haben auf unterschiedliche Weise die Lokalhistoriker Franz Guilleaume und Peter Werland sowie die Kunsthistoriker Max Geisberg und Theodor Wieschebrink gelegt. Ihre Erkenntnisse weichen aber durchaus voneinander ab. Was sich durchgesetzt hat, erscheint nur auf den ersten Blick stimmig. Wenn man den vier verdienten Historikern aber auf ihren Wegen folgt und weitere Quellen hinzuzieht, so ist es mit allgemeiner Turmuhrenkenntnis und praktischer Uhrmachererfahrung nur eine Frage des Interesses und des zeitlichen Einsatzes, um mit vielfacher Hilfe aus Historiker- und Uhrmacherkreisen weit mehr zu klären, als anfangs möglich schien

 

1397: Die Zweite Paulus-Glocke wird gegossen, mit der die Domuhr 5 ½ Jahrhunderte bis Oktober 1943 die Stunde verkündet hat.

 

Kurz nach 1422 erfolgt die schriftliche Bestätigung: Ein Marienfelder Chronist schreibt die Uhr dem sonst unbekannten Zisterzienser Mönch Fredericus aus dem Kloster Hude zu. Der Bau der Uhr soll in der Regierungszeit des Abtes Erenfridus [ca. 1396-1400] beendet worden sein. Die Indikationen, die Anzeigen, der Uhr haben sich  vom „mittleren Gang aller Planeten“ bis zum „Kalendarium mit den beweglichen Festen“ seit 1400 bis heute fast nicht geändert. 

 

1527 verbrennt die wertvolle Dombibliothek über dem Paradies einige Jahre vor den Wiedertäufern, so dass es keine originalen Domuhrunterlagen gibt.

 

Nach 1534, als die Uhr durch die Wiedertäufer zerstört(?) wurde, wird die Uhr  in einem längeren Zeitraum wiederhergestellt. Der "Uhrwercker" Claus Windemaker betritt die Stadt, in der er selbst oder zumindest ein Verwandter schon vorher lebte, kurz nach dem Sieg des Bischofs 1535.   Ob er repariert, nachbaut oder ganz neu entwicklelt, wird nicht klar berichtet. 1569 übernimmt sein Neffe Peter van Gangelt die Werkstatt. Zwischen 1602 bis 1661 sind in den Rechnungen der Fabrica Ecclesiae drei Generationen „von Gangell“ als Domuhrmacher nachweisbar.
Die Uhrenfront wird von der Malerwerkstatt tom Ring künstlerisch neu gestaltet.

 

1565: Hermann Kerssenbroch nennt neben Windemaker als weitere Mitarbeiter zwei "Mathematiker".  Der Drucker Zwivel hat schon 1510 eine nicht sehr mathematische Schrift über Kalender veröffentlicht. Er war vermutlich nicht in der Lage das Osterfest selbst zu berechnen. Nach den mathematischen Kenntnissen des Dompredigers Aquensis, der vielleicht eher Verbindungsmann zum Domkapitel gewesen ist, wird noch gesucht.

 

1661-63: Die Domkapitelsprotokolle berichten von einer Reparatur durch Johan Heßelman. Preis, Dauer und Stil lassen vermuten, dass er ein neues Uhrwerk herstellt. Die Summe hätte sogar für ein neues Getriebe für  der Planeten gereicht. Der Maler Henrich Schmidts arbeitet in der Zwischenzeit an  der "Illumination" der Uhr. Möglicherweise trägt er die Weltkarte auf. Das eventuell gleichzeitig in barocker Üppigkeit entstehende Rete verdeckt nicht nur die Weltkarte sondern viele Indikationen, die vorher ablesbar waren.

 

1696 erhält die Uhr ihr erstes Pendel durch Joachim Münch, der der Uhr gleichzeitig das Viertelstundenschlagwerk anbaut. Der tägliche Fehler wird von etwa 30 Minuten auf 1 Minute verringert. Eine technische Besonderheit ist die Verwendung von Cycloidenblechen nach Huygens. Wenige solcher Uhrwerke haben museal überlebt: 1706 Greifensee;  1728 Münch, Dominikanerkirche Münster, unter Napoleon nach Oldenzaal verkauft; 1738 Straßburg; zwei Werke im Stadtmuseum Steinfurt unter dem Einfluss von Münch; und ein weiteres im Rathaus Großheubach. Die Uhr aus der Dominikanerkirche ist ein kleiner Nachbau des teilweise verlorenen Domuhrwerks mit Zeitanzeige, Viertel- und Stundenschlag aber ohne alle Zusatzindikationen.

 

1818: Carl Münch, er war kein Nachkomme Joachim Münchs, passt die Genauigkeit der Uhr durch eine Stiftenhemmung mit 4 m langem und 100 Pfund schwerem Pendel den modernen Anforderungen an. Die Zeit ist am Stundenzeiger minutengenau abzulesen. Der tägliche Gangfehler beträgt ca. 1s/Tag. Schon 65 Jahre früher war die Stadtuhr in St. Lamberti mit einem langen und 200 Pfund schweren Pendel modernisiert worden.

 

1929-33: Die Schmiedetechnik wird mit dem Ziel der Restaurierung ausgebaut. Die Uhr erhält aber entgegen dieser Absicht von der Neuen Turmuhrenfabrik F. E. Korfhage (NTF Korfhage) ein neues Werk in ingenieurmäßiger Maschinenbautechnik. Der Stundenzeiger springt minutenweise weiter. Auch das Getriebe der Planeten und der Zeigerapparat auf der Front werden neu geschaffen. Das Getriebe wird nach modernen Prinzipien gefräst und zeigt den mittleren Planetenlauf hochgenau. Eine Neukonstruktion des Stundenzeigers verhindert das minutengenaue Ablesen der Zeit. Die schmiedeeisernen Teile werden nur unvollkommen aufbewahrt. Der wichtige Rahmen, an dem man die uhrentechnische Entwicklung durch wenigstens drei Jahrhunderte hätte verfolgen können, geht irgendwann verloren. Entgegen der ursprünglichen Absicht ist ein technisches Denkmal zum großen Teil vernichtet worden.

 

1939-45: Bis auf leicht abnehmbare Teile an der Uhrenfront verbleibt die Uhr während des Kriegs im Dom. Sie verliert im Oktober 1943 mit der Stundenglocke von 1397 ihre älteste noch erhaltene Komponente.

 

1945: Die künstlerisch wertvolle Front von 1540, die allerdings nicht mehr unberührt war, erleidet beim letzten Doppelangriff am 23. und 25. März 1945, mit dem Amerikaner und Briten die Einnahme Münsters in der folgenden Woche vorbereiten, erhebliche aber restaurierbare Schäden. Das stabile neue Werk wird wenig beschädigt.

 

1951: Die Uhr ist einige Jahre vor der Wiedereröffnung des Doms wieder in Betrieb. Das Werk wird zur elektrischen Mutteruhr erweitert und gab ab 1956 einige Jahrzehnte den Minutentakt für die elektrischen Schalteinheiten der neuen Schlagglocken im Dachreiter und des Angelus-Geläutes in Südturm vor. Beides ist inzwischen von der Domuhr abgekoppelt. Heute werden nur noch einige elektrische Nebenuhren, darunter die am Plettenberggrabmal, jede Minute von der Astronomischen Uhr weitergestellt.

 

1997: Die Uhr wird unbemerkt sechshundert Jahre alt, weil  ihr Alter unbekannt war.

 

2009 und 2011: Die Datierung und die Funktion der frühen Uhr und die grundsätzliche Wirkungsweise des 1929 ausgebauten Getriebes der Planeten werden geklärt.